Schülervertreter auf den Spuren der Teilung im vereinten Berlin
Die diesjährige Demokratiewerkstatt Berlin fand vom 27. bis 29. Mai 2024 mit Schülervertretern und begleitenden Lehrkräften unterschiedlicher Schulformen des Kreises Herford und Minden-Lübbecke unter Leitung von Jan Rakelmann (Stätte der Begegnung) statt. Der Schwerpunkt der Reise lag auf der deutschen Teilung und der Wiedervereinigung, die sich zum 35. Mal jähren wird.
Tag 1 der Studienreise begann mit einer Stadtführung durch Kreuzberg. Unter dem Motto „Narben einer geteilten Stadt“ zeigte uns Stadtführer Jean-Baptiste Schöneberger geschichtlich und politisch relevante Orte wie die S-Bahnstation Warschauer Straße, die East Side Gallery, die Obernbaumbrücke und den Kiez Kreuzberg 36 - im Kaiserreich ein wirtschaftlich florierendes Areal. Um 1900 galt der Osthafen als einer der größten Häfen der Welt. Kaiser Wilhelm weihte persönlich die erste S-Bahnstation an der Warschauer Straße ein und erhielt dafür einen eigenen Aufzug, der nur dieses eine Mal benutzt wurde.
Wir lernten den Unterschied zwischen west- und ostdeutschen S-Bahnen kennen.
Interessant war ebenfalls, wie der deutsche Kaiser für alle katholischen Kirchen in Berlin die Reihenhausform anordnete, während alle evangelischen Kirchen freistehen und schon von weitem zu sehen sind.
In der Oppelner Straße zeigte uns Herr Schöneberger Einschusslöcher an verschiedenen Hauswänden, die noch aus der Zeit der Straßenkämpfe in den letzten Kriegstagen stammten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Viertel ein „Lost place“. Überall gab es Wildwuchsräume. Es fand lange kein Wiederaufbau der durch den Krieg zerstörten Gebäude statt. Wer es sich leisten konnte, verließ diesen Kiez. Nach dem Bau der Mauer 1961 zogen immer mehr türkische Gastarbeiter, Kriegsdienstverweigerer und „linke“ Studierende in dieses Viertel, wo es reichlich billigen Wohnraum gab. Junge Frauen dagegen verließen scharenweise Kreuzberg und suchten in den westdeutschen Großstädten ihr persönliches Glück.
Nach der eindrucksvollen Kreuzbergtour aßen wir gemeinsam in einem traditionellen, familiengeführten türkischen Restaurant rustikale türkische Speisen wie Hackbällchen mit Joghurtsoße.
Anschließend fuhren wir mit der U-Bahn zurück zum Hostel und erkundeten in Kleingruppen eigenständig Berlin.
Tag 2 begann mit einem Besuch der Gedenkstätte Hohenschönhausen, einem ehemaligen Gefängnis der Staatssicherheit – zu DDR-Zeiten ein weißer Fleck auf der Karte. Dort erhielten wir einen tiefen Einblick in die Repressionen des DDR-Regimes. „Sitzen und warten“ bestimmte den Tag des Inhaftierten. „Wir haben Zeit“ war der Lieblingssatz der Vernehmer. Nach der willkürlichen Festnahme wurde der Häftling in einem kleinen unauffälligen Transporter nach Höhenschönhausen gebracht.
Als erstes musste der Inhaftierte alles abgeben, was er bei sich hatte. Nur der nackte Körper und gegebenenfalls seine Brille blieb ihm. Danach kam die gründliche Untersuchung. Selbst die Achseln wurden mit einer Lupe untersucht. Es wurden Geruchsproben genommen. Danach ging es entweder in eine Einzelzelle (5 qm) oder in eine Sammelzelle (10 qm), die mit bis zu 12 Häftlingen belegt wurde. Es gab kein Tageslicht, Tag und Nacht leuchtete eine Glühlampe. „So wurde der Biorhythmus zerstört“, sagte der Mitarbeiter der Gedenkstätte. Ebenso galt die Regel, dass alle Gesichter und Hände in den Zellen stets sichtbar sein müssen: Schlafen auf dem Rücken, Hände nicht unter die Decke legen. Zwischen 6 und 22 Uhr war es strengstens verboten, dass Bett zu benutzen. Tagsüber Schlafverbot, nachts Verhör. „Der Schlafentzug ist der Klassiker unter den Foltermethoden; es ist eine saubere Methode, die sich später nicht beweisen lässt“, so der Mitarbeiter.
Diese Zustände herrschten im Stasigefängnis von 1947 bis 1960. Danach wurde der alte Trakt nicht mehr benutzt und alle Inhaftierten kamen - bis zum Ende der DDR - in den Neubau. Zwischen Frauen und Männern wurde kein Unterschied gemacht.
Diese Geschichten in Kombination mit den schockierenden Schauplätzen hinterließen einen bleibenden Eindruck bei uns.
Anschließend bekamen wir in Kleingruppen die Aufgabe, im Rahmen einer Challenge Berlin zu erkunden, Fotos zu machen, zum Brandenburger Tor zu fahren, ein Denkmal zu finden und Interviews zu führen.
Am Abend besuchten wir die Berliner Schaubühne am Kurfürstendamm und sahen gemeinsam das ausverkaufte Theaterstück „Bad Kingdom“.
Tag 3 verbrachten wir ausgiebig an der Bernauer Straße. In einem Workshop in der Stiftung Berliner Mauer sollten wir – nach einer intensiven Einführung - auf fotografische Spurensuche gehen. Ausgestattet mit einem Aufgabenblatt, einem Tablett und Fotos suchten wir den jeweiligen Originalschauplatz auf und machten ein Foto vom heutigen Ort. Im Plenum stellten jede Gruppe ihre Ergebnisse vor. Wir kamen zu dem Ergebnis, das sich in der Zeit nach der Grenzschließung 1961 und später nach dem Mauerfall 1989 optisch viel verändert hat, teilweise ist nichts mehr von dem ehemaligen Gebäude da.
Um 15.00 Uhr trat die Gruppe die Heimreise mit dem ICE an und erreichte pünktlich den Bahnhof Herford.
Diese Studienfahrt hinterlässt bei uns bleibende Eindrücke und vertieft das Verständnis für die deutsche Geschichte und die Auswirkungen der Teilung, die Ausgangspunkt für gesellschaftliche und politische Entwicklungen bis heute sind.
(Text: Sina Ewert, Elke Schoenfelder / Fotos: Maxime Rottmann, Elke Schoenfelder)